Urs Spörri

„Die Crux mit dem deutschen Film“

Hier meine erste Kolumne über den deutschen Film für kino-zeit.de, zum Nachlesen in voller Länge:

Der deutsche Film ist qualitativ so gut wie schon sehr lange nicht mehr. Besucherrekorde bei deutschen Filmfestivals wie zuletzt in Ludwigshafen mit sensationellen 78.000 (!) Personen in den beiden Filmzelten auf der idyllischen Parkinsel sprechen eine deutliche Sprache. Wenn der deutsche Film ansprechend präsentiert wird, ist das Publikum bereit, sich darauf einzulassen.

Die Zahlen der Filmförderanstalt (FFA ) sprechen jedoch eine andere Sprache. 223 deutsche Filme hatten im Jahr 2013 einen offiziellen Kinostart in Deutschland. 125 von ihnen (56 Prozent) konnten nicht mehr als 10.000 Besucher verzeichnen, 30 blieben gar unter 1.000 Zuschauern.

Wie kann das sein? Wie können selbst Festivalerfolge wie Houston (Festivalgewinner in Hof, 2013: 3.411 Kinobesucher) und Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel (Festivalgewinner in Ludwigshafen, 2013: 7.715 Kinobesucher) im Kino derart scheitern? Zum Vergleich: Alleine beim Filmfestival in Ludwigshafen lockt ein deutscher Film bei vier Vorstellungen bereits über 3.000 Menschen ins Kinozelt.

Landläufige Meinung selbst unter führenden Entscheidern der deutschen Filmbranche ist, dass es zu viele deutsche Filme gebe. Oder wahlweise dass deren Qualität zu schlecht sei. In jedem Falle „verstopfe“ die Masse an quälenden deutschen Filmen die Kinos und ruiniere zugleich die Erfolgsaussichten der ohnehin wenigen Publikumsfilme. Als logische Konsequenz gibt es Bestrebungen, nun den Zugang zu Fördermitteln zu erschweren und auf diese Weise weniger Filme zu fördern.

All das ist in meinen Augen völliger Humbug! Der deutsche Film hat kein Quantitätsproblem. Er hat auch kein Qualitätsproblem. Er hat ein Vermittlungsproblem.

Wer weniger geförderte Filme will, lebt in der Vergangenheit. Das Filmland Deutschland bringt hervorragende Filme hervor. Mutige Filme, unterhaltsame Filme, experimentell anmutende Filme – im fiktionalen wie im dokumentarischen Bereich. Alles ist dabei, die Vielfalt beeindruckt. Doch der Otto-Normal-Bürger erfährt davon nichts. Denn selbst die aufmerksamsten Cineasten verpassen Filme, die nur ein bis zwei Wochen im Kino laufen. Sie wissen nicht, dass genau dieser Film für sie interessant sein könnte. Mundpropaganda hat keine Chance mehr, schon sind neue Produktionen angelaufen.

Doch wie kann man die Filme besser vermitteln und der relevanten Zielgruppe näherbringen? Festivals gelingt es seit Jahren auf hohem Niveau, selbst auf den ersten Blick weniger populäre Filme erfolgreich zu vermarkten. Es ist diese kuratorische Aufgabe des jeweiligen Sektions- oder Festivalleiters, dem Besucher das Gefühl zu geben, dass er seiner Auswahl vertrauen kann. Dass es sich um die besten verfügbaren Filme handelt, die aktuell auf dem Markt sind. Und das wird honoriert, mit stetig ansteigenden Zuschauerzahlen. Warum lernen wir so wenig aus diesen Erfolgen der deutschen Festivals? Warum verhalten sich vor allem Verleiher und Kinobetreiber häufig noch immer so, als gäbe es all diese Erkenntnisse nicht?

Ein banales Beispiel: Wirft man einen stichprobenartigen Blick auf die Pressehefte der neu gestarteten Filme der vergangenen Jahre, so wird man von einer Welle der Gleichförmigkeit in Form und Inhalt überrollt. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich daran die Lieblosigkeit oder die Einfallslosigkeit schlimmer finden soll. Jedenfalls erzeugt die rückständig wirkende Monotonie genau das, was die Filme in ihrer Vermittlung am wenigsten brauchen.

Wir sollten aus der Diskussion um Love Steaks und die gescheiterte Day-and-Date-Auswertung lernen: Nur den Mutigen gehört die Zukunft – und das Internet ist nicht der Feind des Kinos. Im Gegenteil sollte exakt hier angesetzt werden, um das Vermittlungsproblem des deutschen Films zu lösen. Innovative Konzepte sind gefragt, die Lust machen, die Filme auf großer Leinwand zu erleben. Und die es möglich machen, dass die jeweilige Zielgruppe eines Filmes angesprochen wird. Ganze Generationen konsumieren Filme inzwischen online. Die Sehnsucht, diese in besserer Qualität zu sehen, mit anderen über das Gesehene zu reden und in die Traumwelten des Kinos einzutauchen, wird aber nie verschwinden. Kino muss wieder mehr zum Erlebnis werden. Filmfestivals sowie der Trend zu Luxuskinos und Filmclubs zeugen davon, dass dies keine Illusion bleiben muss.

Noch einmal abschließend: Der deutsche Film hat kein Qualitätsproblem. Er hat auch kein Quantitätsproblem. Er hat ein Vermittlungsproblem. Und das gilt es zu lösen.

(Quellenangabe: Den originalen Text findet man unter http://www.kino-zeit.de/blog/b-roll/die-crux-mit-dem-deutschen-film-die-kino-zeit-de-kolumne)

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